Warum wir unser Wissen oft überschätzen – und wie du es vermeidest

Kennst du diesen einen Kollegen, der immer so tut, als hätte er das Wissen der Welt mit dem Löffel gefressen – nur um dann in der Praxis grandios zu scheitern? Oder hast du dich selbst schon mal dabei ertappt, zu glauben, du wärst in einem Thema richtig gut, nur um später festzustellen: „Uff, ich hatte ja keine Ahnung“?

Falls ja, dann bist du in bester Gesellschaft. Denn unser Gehirn spielt uns in Sachen Selbsteinschätzung regelmäßig Streiche. Willkommen in der faszinierenden Welt der kognitiven Verzerrungen, in der der Mensch sein Wissen und seine Fähigkeiten systematisch überschätzt.

Der Dunning-Kruger-Effekt: Warum die Ahnungslosen am lautesten sind

Ein Klassiker der Selbstüberschätzung ist der Dunning-Kruger-Effekt. Kurz gesagt: Je weniger wir über ein Thema wissen, desto stärker überschätzen wir unser Können.

Das liegt daran, dass uns in der Anfangsphase des Lernens schlicht das Wissen fehlt, um zu erkennen, was wir nicht wissen. Wer mal ein bisschen Klavier gespielt hat, denkt vielleicht: „Ach, so schwer ist das ja gar nicht!“ Erst wenn man sich tiefer mit Musiktheorie, Fingersätzen und komplexen Stücken beschäftigt, merkt man, wie viel mehr es zu lernen gibt.

Die 4 Phasen des Dunning-Kruger-Effekts:

  1. Unbewusste Inkompetenz – „Das kann doch nicht so schwer sein!“
  2. Bewusste Inkompetenz – „Oh verdammt, das ist ja echt komplex.“
  3. Bewusste Kompetenz – „Langsam bekomme ich den Dreh raus.“
  4. Unbewusste Kompetenz – „Ich mach das einfach, ohne groß drüber nachzudenken.“

Das Problem: Die meisten Menschen bleiben irgendwo zwischen Phase 1 und 2 hängen und halten sich trotzdem für Experten.

Optimismus als Überlebensstrategie – und als Problem

Aber warum überschätzen wir uns überhaupt? Evolutionär betrachtet war ein gesundes Maß an Selbstüberschätzung früher ein echter Überlebensvorteil. Hätten unsere Vorfahren ständig an ihren Fähigkeiten gezweifelt, wären sie vermutlich nie auf die Idee gekommen, wilde Tiere zu jagen oder unbekannte Gegenden zu erkunden.

Heute jedoch führt dieser angeborene Optimismus oft dazu, dass wir uns selbst sabotieren:

  • Wir starten Projekte ohne ausreichende Vorbereitung – und scheitern.
  • Wir unterschätzen Risiken – und tappen in unnötige Fallen.
  • Wir überschätzen unsere Führungsqualitäten – und werden zum schlechten Chef.

Kurz gesagt: Was uns früher geholfen hat, kann uns heute in komplexen beruflichen und privaten Situationen das Genick brechen.

Das Illusory-Superiority-Phänomen: Warum 80 % der Menschen glauben, überdurchschnittlich gut zu sein

Noch eine psychologische Falle: Das „Besser-als-der-Durchschnitt“-Phänomen (Illusory Superiority).

Studien zeigen immer wieder, dass sich ein Großteil der Menschen für überdurchschnittlich intelligent, kompetent oder fähig hält. Mathematisch betrachtet ist das natürlich unmöglich. Trotzdem glauben:

  • 80 % der Autofahrer, sie seien besser als der Durchschnitt.
  • Die meisten Führungskräfte, dass sie ein überdurchschnittliches Team leiten.
  • Die Mehrheit der Menschen, dass sie klüger sind als der Durchschnitt.

Warum? Weil unser Gehirn sich selbst schützen will. Es fühlt sich einfach besser an, an die eigene Überlegenheit zu glauben – selbst wenn die Realität etwas anderes sagt.

Wie du dein wahres Können besser einschätzen kannst

Jetzt, wo du weißt, dass du dein Wissen wahrscheinlich überschätzt – was kannst du tun, um realistischer an die Sache ranzugehen?

1. Hole dir ehrliches Feedback

Frage Kollegen, Mentoren oder Freunde nach ihrer ehrlichen Meinung zu deinen Fähigkeiten. Wichtig: Sei offen für Kritik und nimm sie nicht persönlich.

2. Beschäftige dich mit echten Experten

Wenn du denkst, du bist in einem Bereich richtig gut – lies Bücher oder höre Vorträge von echten Top-Leuten in diesem Feld. Du wirst schnell merken, dass es immer noch viel zu lernen gibt.

3. Bleib neugierig und lernbereit

Sich für einen Experten zu halten, ist das Ende des Lernens. Die besten Führungskräfte und Fachleute bleiben immer offen für neue Perspektiven und entwickeln sich kontinuierlich weiter.

4. Frage dich regelmäßig: „Was könnte ich falsch einschätzen?“

Mache es zur Gewohnheit, deine eigenen Annahmen zu hinterfragen. Wo könntest du dich überschätzen? Was könnte dir fehlen, um wirklich kompetent zu sein?

Fazit: Selbstüberschätzung ist menschlich – aber nicht hilfreich

Jeder von uns überschätzt sich in gewissen Bereichen. Der Trick ist, sich dieser Verzerrung bewusst zu sein und aktiv dagegen zu arbeiten. Denn nur wer seine Grenzen kennt, kann sie gezielt erweitern.

Also: Sei ehrlich zu dir selbst, fordere dich heraus – und hör auf, dich für den größten Experten im Raum zu halten. Das macht dich nicht nur klüger, sondern auch erfolgreicher.