Es ist Montagmorgen, 9:15 Uhr. Das Meeting ist vorbei, aber der Adrenalinpegel bleibt. Ein Problem wurde benannt („Unsere Conversion-Zahlen sind runter!“), fünf Leute reden gleichzeitig, und noch bevor jemand die Ursachen kennt, haut jemand raus: „Wir müssen sofort was tun!“ Und du nickst. Natürlich. Denn wer still bleibt, wirkt planlos. Oder faul.
Willkommen im Action Bias – der Lieblingsfalle moderner Führungskräfte.
Wenn Handeln zur Ersatzhandlung wird
Der Action Bias ist die menschliche Tendenz, in Stress oder Unsicherheit lieber etwas zu tun, als gar nichts. Eine uralte Überlebensstrategie. In der Steinzeit war Bewegung fast immer besser als Stillstand: Wer rannte, lebte. Wer nachdachte, wurde Mittagessen.
Nur ist dein Büro heute kein Säbelzahntiger-Gehege. Und trotzdem greifen wir zum metaphorischen Speer – Mails, Meetings, Sofortmaßnahmen – sobald es ungemütlich wird.
Das Problem: Aktionismus fühlt sich gut an, löst aber selten das Richtige. Studien zeigen, dass Torhüter beim Elfmeter in 94 % der Fälle zur Seite springen, obwohl das Stehenbleiben statistisch erfolgreicher wäre. Kurz gesagt: Auch Profis handeln lieber falsch, als gar nicht.
Und Führungskräfte? Genau dasselbe.
Warum „Tun um jeden Preis“ teuer wird
Du kennst das Muster:
Problem taucht auf → Sofortmaßnahme → Chaos → Nachjustieren → Müdigkeit.
Das passiert, weil Handeln Kontrolle vorgaukelt. Es lindert Angst. Für fünf Minuten. Dann entsteht Druck, alles ständig zu optimieren. Und am Ende bist du erschöpft, dein Team überfordert und das Problem… einfach anders verpackt.
Kahneman nannte das „schnelles Denken“ – emotional, impulsiv, kurzatmig. In der Führung ist das toxisch, weil es Räume für Reflexion zerstört.
Die Kunst des klugen Nichtstuns
Bewusstes Nicht-Handeln ist kein passives Wegducken. Es ist eine aktive Entscheidung gegen sinnlosen Aktionismus. Eine Führungskompetenz, die Klarheit schafft.
Drei einfache Schritte helfen dabei:
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Mach Pause – aber richtig.
Nicht die „Ich hole mir noch schnell einen Kaffee“-Pause. Sondern die echte. Stille. Ohne Slack, ohne Handy, ohne Präsentationsgedanken. 10 Minuten Schweigen wirken manchmal wie ein kompletter Strategietag. -
Frag laut: „Was passiert, wenn wir jetzt nichts tun?“
Diese Frage verschiebt die Perspektive. Oft zeigt sich, dass Prozesse sich selbst regulieren oder Daten fehlen, um sinnvoll zu handeln. -
Kommuniziere bewusstes Abwarten.
„Ich beobachte noch kurz die Entwicklung“ klingt für manche nach Schwäche. In Wahrheit ist es reifes Führungsverhalten. Dein Team lernt dabei, dass Denken auch eine Form des Tuns ist.
Wenn Ruhe plötzlich mutig ist
Der Reiz des Nichts-Tuns liegt in seiner Unpopularität. In einer Welt, die Produktivität mit Wert verwechselt, ist Ruhe fast schon Rebellion. Aber sie wirkt.
Teams, deren Führungskräfte Pausen kultivieren, treffen laut Gino & Pisano langfristig bessere Entscheidungen und lernen mehr aus Fehlern. Reflexion statt Reaktion.
Manchmal ist die effektivste Führung also: abwarten, beobachten, verstehen. Dann handeln.
Fazit
Nichtstun ist keine Kapitulation. Es ist Kontrolle über das eigene Tempo.
Wenn du das nächste Mal das Gefühl hast, sofort eingreifen zu müssen – atme. Lass die Pause wirken. Vielleicht löst sich das Problem ohne dich. Und falls nicht, wirst du wissen, was wirklich zu tun ist.
Denn Führung ist wie Schach: Die stärksten Züge sind oft die, die man nicht macht.